Annika 0 Bergerlebnisse, Bergabenteuer, Freeriden

Freeride Abenteuer Tag

Ein kurzer Blick auf meinen Kalender genügt und der Engel auf meiner linken Schulter bricht das Schweigen: „Am Wochenende ist es bestimmt auch noch schön, erledige lieber zuerst deine Arbeit!“ Das lässt sich das kleine Teufelchen auf meiner rechten Schulter nicht bieten: „Was? Das kann doch nicht dein Ernst sein! 40 Zentimeter feinster Powder! Und es schneit immer noch! Das ist vielleicht das letzte Mal diesen Winter! Muss ich noch mehr dazu sagen?“ Nein. Wer will an Powder Days schon Engel sein?

60 Meter Seil im Rucksack

Heute ist die perfekte Gelegenheit, um einmal beim Freeride Abenteuertag mit unserem Bergführer Manfred Sprung dabei zu sein. Er kennt das Gelände der Silvretta Montafon wie seine Westentasche und zeigt Tiefschneeliebhabern zwei Mal pro Woche die üppigen Off-Piste-Möglichkeiten. Er hat heute sogar noch einen Platz frei. Ich Glückskeks. Manni checkt gerade den Lawinenlagebericht und meint, dass die Route „Valisera Tal“ perfekt in Shape ist, um ein paar schönen Lines zu ziehen. Dem Seil in seinem Rucksack nach zu schließen, könnte es ein spannender Tag werden.

 

Team komplett – abtauchen ins Whiteout!

Wir sind inzwischen vollständig. Acht Schneeverliebte haben sich heute für das Bergerlebnis angemeldet. Sechs Jungs aus der Schweiz, die sich jedes Jahr für eine Skiwoche in der Silvretta Montafon treffen und ein Journalist aus Frankfurt, der in einem Zeitungsartikel vom Freeriden berichten wird.

Wir nehmen die Valisera Bahn nach oben, doch der Verdacht, dass sich der Nebel ab 2.000 Meter verduftet, bestätigt sich nicht. Die Sicht ist alles andere als gut. Was soll ich sagen, ich mag das. Dicke weiße Flocken fallen vom Himmel, die Tannen sind tief eingeschneit, mystischer Nebel schlängelt sich durch den Wald und es herrscht friedliche Stille, weil die Schönwetterskifahrer in den Federn liegen.

An der Bergstation überprüfen wir am Pieps Check Point unsere Ausrüstung. LVS-Gerät funktioniert, Schaufel und Sonde sind griffbereit im Rucksack verstaut. Das Freeride Abenteuer kann beginnen.

 

Überwindung wird belohnt

Bekannte Filmszenen zeigen den Freerider am Horizont. Er steht auf einem ausgesetzten Grat am höchsten Punkt – höher geht es nicht. Er konzentriert sich und ist bereit für seinen – 3.. 2.. 1.. – Drop in!

Nicht zu vergleichen mit der Realität: Wenn wir unsere Big Lines ziehen wollen, müssen wir uns erst hoch kämpfen. Bei der Rinderhütten Bahn Bergstation heißt es Skier auf den Buckel hieven und durch den oberschenkeltiefen Schnee nach oben stapfen. Wenige Minuten Gehzeit reichen aus, um schon fernab des Pistenandrangs und nur noch eine kleine Gruppe zwischen mächtigen Bergen, die weit in den Himmel ragen, zu sein. Der erste Abschnitt ist geschafft, jetzt können wir uns wieder die Waffen anschnallen. Manfred zeigt uns, wie wir im Treppenschritt richtig aufsteigen – gar nicht so einfach in diesem frischen, trockenen Schnee. Ich bin umzingelt von weißem Nichts, Nebel und Schnee werden eins. Wir passieren Lawinenverbauungen und freistehende Felsblöcke. Immer weiter nach oben, immer weiter ins freie Gelände.

Ein paar Schweißperlen hat mich der Aufstieg schon gekostet. Aber jetzt haben wir’s geschafft und das ist ein tolles Gefühl. Auf der anderen Seite geht es fast senkrecht nach unten. Das Gelände ist felsdurchsetzt und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wo ich hier meine Schwünge ziehen soll. Okay, alles klar: hier kommt also das Seil zum Einsatz. Manni sichert mich an der Hüfte und schickt mich voraus. Anspannung macht sich in mir breit. Ich zuerst? Abseilen mit den Skiern an den Füßen? Das ist wirklich abenteuerlich. Schritt für Schritt versuche ich mich nach unten zu tasten. Mit Skifahren hat das nicht viel zu tun. Oben hat Manni mir noch die Anweisung gegeben, dass ich mir – wenn das Gelände abflacht – mit meiner Lawinenschaufel unter dem Felsvorsprung einen Stand bauen und die Sicherung lösen soll. Gesagt, getan. Aber etwas mulmig ist mir schon, alleine hier zu stehen. Schon bald bekomme ich Gesellschaft und einer nach dem anderen seilt sich zum Standplatz ab. Manni macht Schlusslicht und übernimmt ab jetzt die Gruppe wieder.

Wir gehen zum genüsslichen Teil des Tages über: Das Wetter reißt auf, die Sonne schiebt die Wolken zur Seite und ein weitläufiger, unberührter Hang liegt uns zu Füßen. Mir rinnt das Wasser im Mund zusammen. Was für ein Timing! Manni bittet uns genügend Abstand zueinander zu lassen – Platz gibt es ja mehr als genug – und stibitzt sich die erste Line. Er ist eben auch ein Tiefschneefahrer mit Leib und Seele und kann seinen Gästen nicht immer den Vortritt lassen.

 

Drop in

Ich bin die Nächste. Das sind meine fünf Minuten. Ein bisschen Anspannung gehört zu jedem Drop in, aber wenn ich den ersten Schwung behaglich und mit viel Gefühl in den Powder setze, merke dass der Schnee perfekt ist und den ersten Rebound spüre, dann sind die Gedanken frei. Sowieso ist das Freiheit pur. Wenn die Chemie stimmt, stimmt auch die Reaktion. Ich bin zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Nirgendwo anders auf der Welt möchte ich jetzt sein. Der Schnee ist allererste Sahne, denn Manni weiß immer – auch Tage nach dem letzten Schneefall – welche Spots noch unverspurte Hänge in petto haben.

 

20 Minuten Liftfahrt, 3 Stunden Freeriden

In flachem Gelände treffen wir wieder zusammen. Jedem ist ein dickes Grinsen ins Gesicht geschrieben. Ich bin immer wieder fasziniert von der Tatsache, dass 20 Minuten Lift fahren und ein kurzer Anstieg mit mehreren Stunden Freeriden belohnt wird.

Nicht lange rumtrödeln – wir wollen mehr! Das felsige Terrain wird sanfter und wir passieren wieder Bäume. Waldabfahrten fordern mehr Aufmerksamkeit und schnellere Reaktionen. Es macht einen Riesenspaß über die Pillows, die zugeschneiten Baumstümpfe, zu springen.

Bis ins Tal genießen wir jeden Schwung und erreichen schließlich die Bundesstraße Richtung Gargellen. Was für ein Tag! Ich bin glücklich, zufrieden und erschöpft zugleich. Während wir auf den Bus warten, der uns zurück zur Valisera Bahn bringt, lassen wir unsere Runs noch einmal Revue passieren.



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Eine Frau sitzt in der Gondel und blickt sehnsüchtig aus dem Fenster auf die Schneelandschaft
Autor

Annika

Ich mag die Berge. Sehr sogar. Noch lieber, wenn sie mit Schnee bedeckt sind. Skifahren ist für mich das Größte und der Winter meine Jahreszeit. Bin im Montafon aufgewachsen. Dann war ich in der ganzen Welt unterwegs. Habe 5 Jahre in Innsbruck studiert. 2015 bin ich ins Montafon zurückgekommen, weil ich im Marketing-Team der Silvretta Montafon das tun kann, was ich gerne tue: anderen zu vermitteln, dass es nichts schöneres gibt, als Zeit in den Bergen zu verbringen!